Sie fotografieren gerne Menschen, fragen sich jedoch, wie Sie Ihren Portraitierungen einen besseren Ausdruck verleihen können? Dann ist dieser Artikel interessant für Sie.
Menschen betrachten gerne Menschen. Auch ich bin nicht gefeit, bezeichne mich selbst als Mensch-Fanatiker. Mein Glück als reisender Fotograf? Motive lauern an jeder Straßenecke; schöne Fremde, aussagekräftige Gesichter. Dabei meine ich nicht die Dame mit dem sexy Sommerkleid. Jeder Mensch ist einzigartig und verfügt über eine individuelle Charakteristik, egal ob jung oder alt, weiblich oder männlich. Um echte Emotionen einzufangen, bedarf es neben der natürlichen Beobachtungsgabe etwas technischer Finesse.
Technik bei Street Photography
1) Objektivwahl: Fixe Brennweite vs. Zoomobjektiv
Die beiden wichtigsten Objektive für Portraits sind die Objektive mit fixer Brennweite und Zoomobjektive. Diese unterscheiden sich insofern, als dass Zoomobjektive kontinuierliche Änderungen ihres Brennweitenbereichs gestatten, während die Objektive mit fester Brennweite schärfer sowie kompakter sind. Heute hat sich die Leistung von Zoomobjektiven so sagenhaft verbessert, dass selbst Profis sie aus Bequemlichkeit verwenden. Zoomobjektive sind zwar immer noch nicht ganz so scharf wie Objektive mit fester Brennweite, aber der Qualitätsunterschied wird durch den Bequemlichkeitsfaktor des Zooms ausgeglichen. Trotz aller qualitativer Vorteile von Objektiven mit fester Brennweite, ist eines meiner Lieblingsobjektive für den Reisejournalismus sowie für die „Straße“ ein Zoomobjektiv. Denn vielfach ist die Reaktionsgeschwindigkeit oder das Festhalten von entfernten Situationen wichtig.
Zoomobjektiv
Festbrennweite
2) Automatische vs. manuelle Einstellung (Tipps zu Blende und Belichtungszeit)
Die manuelle Einstellung ist keineswegs ein Garant für bessere Resultate. In vielen Situationen ist die Reaktionsgeschwindigkeit entscheidender. Viele fremde Menschen sind bereits nach einigen Sekunden „müde“ und die echten Emotionen lassen nach. Das ist bei bekannten Personen (Freunden, Partner, Familie) einfacher, denn diese möchten ja auch ein gutes Foto. Daher ist es empfehlenswert, die richtige Blende, Verschlusszeit und ISO Werte bereits vor dem „Shooting“ zu definieren. Ich empfehle somit die Kamera auf S oder A einzustellen. Dabei ist die Priorisierung wichtig. Will ich eine Bewegung einfrieren, den Hintergrund unscharf abbilden etc. Auf dem Display der Kamera kann man dann mitverfolgen, wie die Kamera über die fehlenden Werte entscheidet. Der Belichtungsmesser der Kamera sorgt sich für ein optimales Lichtverhältnis. So dass das Foto möglichst nicht unter- oder überbelichtet ist. Also die richtige Menge an Licht in die Kamera lässt. Mit genug Übung kann dann auch die komplett manuelle Einstellung versucht werden.
S – Blendenautomatik. Die Kamera wählt die Blende, der Benutzer die Belichtungszeit. Tipp: Gut um Bewegungen einzufrieren oder Bewegungsunschärfe zu erzeugen. (Empfehlung ISO Wert manuell auf 320 oder etwas mehr einstellen – umso weniger Tageslicht, desto mehr ISO)
Belichtungszeit ist die Zeitspanne, in welcher der Kamera-Verschluss geöffnet ist und Licht durch die Blende auf den Sensor fällt. Mit unterschiedlichen Belichtungszeiten werden Bewegungen eingefroren oder Bewegungsunschärfe aufgenommen. Achtung: Kurze Belichtungszeiten erfordern viel Licht, eine grosse Blendenöffnung, hohe ISO-Werte oder eine Kombination aus allen drei Faktoren. Für gewöhnlich, ISO- und Blendenwert vorgeben und die Belichtungszeit der Kamera
überlassen.
* Bis dieser Schnappschuss entstand, musste ich eine halbe Stunde abwarten. Aber Ausdauer zahlt sich bekanntlich aus. Die Belichtungszeit von 1/640 Sek. war etwas mutig. Noch besser wäre 1/1000 Sekunden um keine Unschärfe zu riskieren.
* Bei dieser Komposition war es mir wichtig, den Hauptakteur der Sepak Takraw Partie in Szene zu setzen (im Fokus) und dabei trotzdem den leeren Platz rechts auszufüllen. Eine Blende von F 3.2, je nach dem sogar 5.6 reicht aus. Hierbei ist gut erkennbar, wie sich der Schärfebereich gegen vorne auswirkt.
* Bewusst kreierte Bewegungsunschärfe. Die ideale Belichtungszeit liegt bei 1/50 bis 1/60 Sek. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass der Fokus auf „Continuous Autofokus“ sowie die Bildfolgezeit von Einzelbild auf Serienbild eingestellt werden muss. Denn meistens ist eines von 5 bis 10 Bildern optimal.
A – Zeitautomatik. Die Kamera wählt die Belichtungszeit, der Benutzer die Blende. Interessant für Portraits.
Achtung: Vor allem bei Portraits sollten die ISO Werte dabei etwas angehoben werden.
Tipp: Stellen Sie den ISO Wert manuell auf 300 oder etwas mehr – je weniger Tageslicht, desto mehr ISO. Für die meisten Gegebenheiten empfehle ich Ihnen, eine Blende im Bereich F 4.0 zu wählen.
Der gezielte Einsatz der Schärfentiefe durch Einstellen der Blende, der Entfernung und der Brennweite ermöglicht es, den Blick des Betrachters auf das Hauptmotiv zu lenken. Dazu beschränken wir die Schärfentiefe auf das Hauptmotiv. Der Vorder- und Hintergrund wird dadurch unscharf abgebildet. Je kleiner die Blendenöffnung ist, desto größer ist also der Schärfebereich. Befindet sich die portraitierte Person sehr nahe zum Hintergrund, ist es unter Umständen schwierig eine entsprechende Unschärfe zu kreieren.
Beispiel von Blendenzahlen
Vergleich eines Portraits mit unterschiedlichen Blenden:
Vientiane, Laos – Mittag, sonnig – Festbrennweite 35mm
* Werden die Bilder einzeln begutachtet, so sollte auffallen, dass der Hintergrund im rechten Bild den Betrachter eher verwirrt, auch wenn er eine künstlerische Anmutung hat. Das Bild links rückt den Protagonisten mehr in den Vordergrund. Hier ist gut zu erkennen, dass die Auswahl der Blende als Stilmittel funktioniert.
* Das Bild ist bereits äußerst farbintensiv. Daher ist es wichtig, den Blick des Betrachters auf die Hauptperson zu lenken und den Hintergrund möglichst zu verwischen, selbst wenn die Person im Hintergrund am Geschehen beteiligt ist
* Bei dieser Aufnahme schien mir der Hintergrund wichtig. Da dieser die natürliche Umgebung der Protagonisten darstellt, wollte ich ihn auf jeden Fall einbauen und keinesfalls verwischen. Somit fiel die Entscheidung auf eine kleine Blende.
Wissenswerte Richtlinien zum Thema Schärfentiefe
– Die Schärfentiefe erhöht sich, je weiter das Motiv vom Objektiv entfernt ist.
– Die Schärfentiefe erhöht sich durch Verkleinerung der Blende (abblenden).
– Bei gleich bleibender Entfernung des Motivs erhöht sich die Schärfentiefe mit geringer werdender Objektivbrennbreite, wobei sich allerdings der Vergrößerungsgrad ändert.
Shooting
1) Ort des Geschehens
Als erstes sollten Sie sich überlegen, wo Sie arbeiten wollen. Als gute Ausgangslage bietet sich ein Ort an dem sich Fotograf oder „Model“ wohlfühlt. Als Reisender ist das natürlich nicht gut möglich, da ist eher ein geeigneter Hintergrund oder der richtige Winkel entscheidend. Ich positioniere mich vielfach vor einem geeigneten Hintergrund und warte auf dem richtigen Moment bzw. die richtige Person.
* Die Blüten des Baums im Hintergrund, etwas blauer Himmel – perfekt. Bei dieser Parade zu Ehren der neuen Novizen habe ich bewusst vor diesem Hintergrund gewartet. Nicht nur das, dieser Junge strahlte unter all den Kindern etwas Besonderes (Selbstbewusstes) aus, mir war es wichtig genau ihn in Szene zu setzen.
2) Erlaubnis und Vorgehen
Bevor Sie den Auslöser drücken, sollten Sie zwingend eine Erlaubnis einholen und auch ein Nein akzeptieren. Sofern Sie nicht Ihre Liebsten fotografieren ist dieser Punkt enorm wichtig, da Sie dem Portraitierten Respekt entgegenbringen möchten. Ein kleines Gespräch mit dem Model (sofern beide Parteien die gleiche Sprache sprechen) kann auch nicht schaden, vor allem, weil es Ihnen Zeit gibt, dessen Gestik und Mimik zu studieren. Auf Bedarf können Sie Ihr Model auch nach der bevorzugten Seite fragen, denn den meisten Menschen gefällt eine Seite ihres Gesichts besser als die andere.
Während des Pulikali Festivals in Thrissur, im südindischen Bundesstaat Kerala
Einige wichtige Punkte:
– Nehmen Sie sich Zeit für Ihr Fotomodel und schaffen Sie eine lockere Atmosphäre für möglichst natürliche Gesichtsausdrücke und echte Emotionen
– Fokussieren Sie das aussagekräftigste Element: Die Augen.
– Falls möglich, stellen Sie Ihre Kamera auf „Bildfolge“ ein und schießen Sie 5-10 Fotos
(Sie werden sehen, wie sehr sich der Gesichtsausdruck innerhalb von Sekunden ändern kann. Das Thema „geschlossene Augen“ ist somit auch abgehakt).
– Lassen Sie nicht zu viel und nicht zu wenig Platz über den Köpfen.
Tipp: Wenn viel Hintergrund gezeigt werden soll, rücken Sie Ihr Model auf entsprechende Seite. (Mehr zum Thema „Bildausschnitt“ weiter unten).
3) Licht
Für Portrait-Aufnahmen auf der Straße eignen sich besonders die Lichtverhältnisse am Morgen oder am späten Nachmittag, denn dann ist das Licht nicht zu hart. Auch hier macht Übung macht den Meister. Natürlich scheint nicht immer die Sonne. Ambitionierte Hobby-Fotografen sollte dies jedoch nicht abschrecken, denn ein Foto ohne gutes Licht ist immer noch besser als kein Foto. In der Theorie sollte das Licht, wenn möglich, auf die rechte Gesichtshälfte fallen. Denn die westeuropäische Leserichtung geht von links nach rechts und hell nach dunkel ist angenehmer für das Auge des Betrachters.
4) Perspektiven
In den meisten Fällen werden Sie auf Augenhöhe fotografieren, was sich auch die meisten Portraitierten gewöhnt sind. Interessant wird es jedoch dann, wenn Sie die Perspektive ändern, hier können schnell Emotionen transportiert werden. Fotografieren Sie eine Person von unten, wirkt diese erhabener oder sogar hochnäsig. Wir „blicken“ quasi zur Person auf – das Wunschportrait eines jeden Firmenchefs. Probieren geht über Studieren, versuchen Sie es selbst und lassen Sie die Perspektiven auf sich wirken.
* Verschiedene Perspektiven aus einem Fotoshooting in Leh Ladakh, Indien – Nachmittag, bewölkt – Festbrennweite 50mm / Blende F 5.0 / Belichtungszeit 1/1250 Sek. / ISO 250
5) Bildausschnitt
Ein Tipp vorweg: Wer es versäumt, den richtigen Bildausschnitt zu wählen, kann in der Nachbearbeitung einiges retten. Das normale Portrait, das man aus der Gemäldemalerei kennt, zeigt vorzugsweise ein hochformatiges Bild von der Brust aufwärts. Etwas moderner sind die Querformate – hier stellt sich die Frage, was ist rechts oder links von der Person zu sehen.
Es gibt Regeln für klassische Portraits, beispielsweise, dass die Augen im oberen Drittel sein sollten und der restliche sichtbare Körper proportional ein Gleichgewicht dazu darstellt. So stehen Höhe und Breite im Verhältnis zueinander. Diese Gestaltungsregel lehnt sich an die Proportionslehre des Goldenen Schnitts. Ich platziere mein Model hin und wieder in der Mitte, aber meistens im linken Bild-Drittel. Ab und zu sogar rechts versetzt, je nachdem wie und ob ich den Hintergrund einbauen kann. Vielfach fotografiere ich Hoch- sowie Querformat und entscheide später, welches Bild sich länger anschauen lässt. Ich bin mutig und erlaube mir vielfach die Köpfe „anzuschneiden“. Damit lege ich mehr Fokus auf die wichtige Gesichtspartie. Das ist jedoch Geschmacksache.
Varanasi, Indien – Abend, sonnig – Zoomobjektiv 28-300mm (bei 92mm) / Blende F 5.3 / Belichtungszeit 1/400 Sek. / ISO 320
Pyay, Myanmar – Abend, sonnig – Festbrennweite 35 mm / Blende F 5.3 / Belichtungszeit 1/500 Sek. / ISO 160
Nachbearbeitung
1) JPEG oder RAW
Viele Digitalkameras können die Bilder im RAW- und im JPEG-Format abspeichern. RAW ist ein verlustfreies Format. Sämtliche Daten, die der Chip der Kamera aufgezeichnet hat, werden somit unverändert und unkomprimiert in die RAW-Datei geschrieben. Das in einer RAW-Datei gespeicherte Bild entspricht also exakt der von Ihnen gemachten Aufnahme. JPEG ist hingegen ist ein verlustbehaftetes Dateiformat. Es zielt darauf ab, Bildinformationen zu eliminieren, und verringert Dateigröße dramatisch. Das Fotografieren im RAW-Format hat unter anderem den Vorteil, dass Sie Farbabgleich, Belichtung, Tonwertkurve, Sättigung usw. in Adobe Lightroom, Photoshop oder diverser Gratis Software nachbearbeiten können. Ich fotografiere im Rohdatenformat der Kamera (RAW) und nehme alle Bildkorrekturen später in Adobe Lightroom vor.
Dazu gehören folgende Anpassungen:
– Farbtemperatur bzw. Weißabgleich
– Belichtung
– Lichter
– Klarheit
– Schatten
– Kontraste
– Dynamik und Farbsättigung
– Schärfe
– Behebung von Objektivfehlern
2) Schwarzweiß oder Farbe
Ich bin ein großer Fan der Schwarzweiß-Fotografie und bin mir selbst oft unschlüssig, ob ich das Resultat lieber in schwarzweiß oder farbig sehen möchte. Es gibt Fotografen, die schwören darauf, dass ein gutes Schwarzweiß-Sujet bereits als solches vor der eigentlichen Aufnahme erkennbar ist. So oder so, ich empfehle, das Foto in Farbe aufzunehmen und nachträglich zu bearbeiten. Probieren Sie es aus. Sie werden überrascht sein, wie viel aussagekräftiger Schwarzweiss-Portraits gegenüber Farb-Portraits sind.
Phongsaly, Laos – Abend, sonnig – Zoomobjektiv 28-300 mm (bei 100 mm) / Blende F 5.3 / Belichtungszeit 1/100 Sek. / ISO 1000
Bangkok, Thailand – Festbrennweite 35 mm / Blende F 2.5 / Belichtungszeit 1/250 Sek. / ISO 1000
Sind Sie nun bereit für eine eigene Feldstudie? Übung macht den Meister! Es ist auf jeden Fall wichtig, dass Sie mit Ihrer Ausrüstung vertraut sind und deren Möglichkeiten sowie die Grenzen kennen. Testen Sie in vertrauter Umgebung und mit Menschen, die Ihnen vertraut sind. Das Equipment ist wichtig, aber nicht entscheidend. Fundamental ist aus meiner persönlichen Sicht das Verständnis für Komposition, Licht und die richtige Umgangssprache mit Ihrem Fotomodell. Viel Spaß beim Ausprobieren!
Ihr Foto in Groß